Um es einfach zu machen: Ich wollte eine grosse Frau zeigen. Das ist so etwas wie eine persönliche Fantasie von mir.
Hidetaka Miyazaki
Dark Souls und Lebensweisheiten
Ich habe nicht nur ein Dark Souls-Tattoo, sondern gleich zwei. Nicht mal, weil ich das Spiel so liebe. Also, auch. Aber nicht hauptsächlich.
Hauptsächlich erinnern mich diese Tattoos - eines vom Bonfire und dem Feuerbandschrein, und eines vom großen Grauwolf Sif - daran, zwei unleugbare Wahrheiten des Lebens nicht zu vergessen.
1- Wenn es hart wird, wird es meist richtig hart. Und es suckt. Und tut weh. Und das nicht nur einmal.
2- Vergiss nicht, zwischendurch eine Pause einzulegen und den Wolf Wolf sein zu lassen, neue Kräfte zu sammeln und zu überdenken, ob du nicht doch vorerst an anderer Stelle weitermachen möchtest.
Das, was mich an Dark Souls begeistert ist nicht die pure Schwierigkeit. Viele Spiele sind schwer, und viele sind schwerer als Souls. Nein, was ein Dark Souls oder ein Bloodborne von den Mitbewerbern abhebt, sind tausend kleine Dinge, die nichts mit dem Schwierigkeitsgrad an sich zu tun haben. Lore. Sound. Design. Details in der Spielumgebung, die andere Spiele mit einem schon vorher genutzten, cool aussehenden Asset und einem Schulterzucken abtun würden.
Bei den Spielen von From Software ist dies aber nicht so - jeder auf dem Boden herumliegende Stein, jede Statue, jede Gegnerplatzierung hat einen tieferen Sinn, nicht nur in punkto Gamedesign, sondern auch und vor allem in Bezug auf Implikationen der Geschichte der Spielwelt.
Und genau das machen so viele andere Spiele einfach falsch, egal ob "Souls-Like" oder nicht. Die Hintergrundgeschichte von Dark Souls ist kein absurder Nonsens - sie wirkt nur so, wenn man das erste Mal mit halbgeschlossenen Augen durch die Welt läuft.
Hidetaka Miyazaki und Design
Miyazaki beschreibt den Designpozess von Dark Souls ziemlich klar:
Im ersten Schritt werden die Grafik- und Charakterdesigner mit einfachen Keywords gefüttert, die während der ersten Phase des Designprozesses entwickelt wurden. Dann haben sie freie Bahn. So entstehen Kreationen wie der Klaffdrache oder Grabesfürst Nito, Kreaturen, die selbst in der zerrütteten Welt von Dark Souls nur schwerlich in ein Korsett passen würden.
Nachdem die grundsätzlichen Elemente und Details der Welt festgezurrt wurden, beginnt der zweite Prozess: Engere Wünsche und Anfragen werden an die Designer weitergegeben. Wie wird ein Design genutzt, wo in der Welt findet es seinen Platz, was soll es repräsentieren - im Normalfall, sagt Miyazaki, hat er eine ziemlich gute Vorstellung davon, was er genau möchte. Hier entstehen dann die vielleicht etwas weniger gewagten Designs wie Gargoyles oder Mimic.
"So oder so", stellt Miyazaki fest, "Ich gebe die Anweisungen, und ich arbeite ständig direkt mit jedem Designer zusammen, anstatt den Weg über einen Mittelsmann zu gehen".
Ein großer Faktor in der Frage, ob Miyazaki ein Design an- und übernimmt, liegt tiefer unter Bleistiftstrichen und Radierungen verborgen. Eleganz, Würde und Erhabenheit sind ihm wichtiger als Grusel, Horror und die Groteske.
"Splatter-Designs werden es nicht an mir vorbei schaffen", sagt er. "Das ist komplett mein persönlicher Geschmack, und es ist etwas, was ich auf jedes Design anwende, welchem ich zustimmen soll". Ein von From-Designer Masanori Warugai vorgeschlagenes Design des Untoten Drachens, wie er unter anderem in der gemalten Welt Ariamis auftaucht, war Miyazaki zu grauenhaft. Er zeichnete einen Drachen, übersät mit Maden und ähnlichen Horror-Klischees. Miyazaki gab es ihm mit den Worten zurück: "Dies ist nicht würdevoll. Verlasse dich nicht auf den Ekelfaktor um einen untoten Drachen zu portraitieren. Kannst du stattdessen nicht die tiefe Trauer einer prachtvollen Bestie verbildlichen, verurteilt zu einem langsamen und womöglich endlosen Abstieg in das Verderben?"
Mit solchen Keywords arbeitet Miyazaki oft. Er gibt lieber Themen vor, anstatt konkrete Wünsche zu äußern. Er diskutiert über Philosophie und die Wunder des Universums, anstatt eine Einkaufsliste mit grafischen Details zu erstellen.
"Ich stelle mir die Evolution des Klaffdrachens in etwa so vor: "Ich will fressen! Mein Ösophagus ist im Weg!"
Hidetaka Miyazaki
Nun könnte man meinen, Miyazaki wäre kein Fan von Klischees und abgenutzten Archetypen, doch dies scheint keinesfalls zuzutreffen. Was er in Designfragen nicht mag, ist es, Spiele so gestalten zu müssen, dass sie sich wie eine Gußform vom Fließband des "Videospiele-Warendepot" anfühlen, wie er es sagt. "Aber ich bin nicht so unrealistisch zu sagen, dass jeder einzelne Aspekt absolut Original sein müsste."
Diese Designphilosophie ist gut sichtbar, wenn man sich die Glocken-Gargoyles anschaut, eine im Vergleich ungewöhnlich gewöhnliche Figur aus alten und neuen Horrormotiven. Alte Dachschrägen-Gargoyles, zum Leben erwacht. Mimics sind Gegner, die man in jeder zweiten Stubensession Dungeons & Dragons ertragen muss, und natürlich geht es den altbekannten Drachen nicht anders. Miyazaki betrachtet diese Designs mit Liebe, aber mit einem Gewühl der Abwesenheit - irgendeine Kleinigkeit am Design dieses Drachens, die ihn einzigartig machen würde, könnte fehlen. Also durchsucht er Bücher, Fotos und anderes Material um das verlorene Detail zu finden, das seine Vorstellung des Design komplettieren kann.
Ein wunderbares Beispiel dafür ist der bereits erwähnte Mimic, eine Schatztruhe, die bei Plünderung zum Leben erweckt und den Spieler attackiert. Er gehört sogar zu Miyazakis Lieblingen aus der Souls-Reihe. Er wusste von Anfang an, als das Projekt noch in den Kinderschuhen steckte, dass er einen Mimic im Spiel möchte. Aber ihm war auch klar, dass Mimics ein bis zum Umfallen genutztes Klischee innerhalb der Rollenspiel-Szene sind. Sie könnten niemals die Überraschung und den Schock zum Spieler transportieren, den er sich vorstellte. Also entschied er sich, zwar mit der grundsätzlichen Idee weiterzumachen, aber sein Design lauter sprechen zu lassen als die Gefühle der Nostalgie und Gewöhnlichkeit, die sich spontan beim Gegnertyp "Mimic" einstellen.
"Darum habe ich mich entschieden, eine neue Art des Mimics zu entwickeln, eine, die den Spieler erschreckt, indem sie eine jahresalte Tradition betrügt, aber in einer guten Art und Weise. Ich habe mir vorgestellt, dass die Reaktion des Spielers auf unseren Mimic in etwa so abläuft: 'Dumdidum, ein Mimic. Wie originell. Ich werd' einfach.. Aaagh! Was zum Geier ist DAS??'"
Daisuke Satake, ein Designer bei From Software, beschreibt Miyazakis Vorliebe für Inspirationen durch Klassiker folgendermaßen: "Miyazaki, wie er verlotterte und fleckige Bücher vor dir ausbreitet und Dinge sagt wie, "Siehst du das hier? Ich will etwas wie das" ist kein ungewöhnliches Ereignis". Einflüsse für Dark Souls allein reichen von Anime-Serien wie Jojo's Bizarre Adventure, Record of Lodoss War und - natürlich - Berserk, bis hin zu Harry Potter's "Hermine" als Vorbild für den Charakter "Sieglinde", und die drehenden Treppen aus Hogwarts für das gesamte Design des Archiv des Herzogs.
Miyazaki hat kein Problem damit, diese Designs zu übernehmen, und sie dann zu treten und zu schlagen, bis sie in die trost- und hoffnungslose Welt von Dark Souls passen. "Symbole sind Symbole, weil sie diese Position für sich selbst etabliert haben", sagt er. "Es ist nicht einfach für ein komplett neues Bild, einen ähnlich starken visuellen Einfluss zu entwickeln".
Oder, um es kürzer zu sagen, Miyazaki macht es nichts aus, gewöhnliche Einflüsse für ungewöhnliche Designs zu nutzen - von Zeit zu Zeit, jedenfalls.
Welten erschaffen
Nicht nur sollte Priscilla, der Endgegner in der gemalten Welt von Ariamis, eigentlich am Feuerbandschrein auftauchen - sie war zum Designstart als spielbarer Hauptcharakter des Spieles geplant. Ihr neues Zuhause Ariamis basiert auf einem Map-Prototypen, der extrem detailliert ausgearbeitet war, aus dem einfachen Grund, dass es als Vorlage für das gesamte Spiel dienen sollte.
Da nun Miyazaki aber bereits so viel Arbeit in Ariamis gesteckt hatte, wollte er die Welt nicht einfach aufgeben, obwohl sie eigentlich überhaupt nicht mehr in das fertige Spiel gepasst hat. Kein logischer Ort führte den Spieler auf einen Weg, an dem Ariamis logischen Sinn ergab.
Daher wurde das gesamte Level kurzerhand in ein verzaubertes Gemälde verbannt. So konnte Ariamis im Spiel auftauchen, ohne die Stimmigkeit der Welt zu zerstören.
Auch der Auftritt von Priscilla in Ariamis ist nun logisch: "Man könnte sagen, sie gehört hierhin. Schließlich ist die Gemalte Welt der Ort, an dem sich ausgestoßene Seelen wiederfinden", so Miyazaki.
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Dieses Beispiel beschreibt den gesamten Designprozess von Dark Souls. "Die Story kommt zum Schluss". Miyazaki und sein Team begannen mit dem Layout des Spieles mit nur einer minimalen Menge an Story drumherum. Für ihn war es immer eine Geschichte für das Spiel, anstatt eines Spieles für die Geschichte. Er will keine Story erzählen, er möchte den Spieler die Story selbst erforschen lassen, indem dieser seine Vorstellungskraft und From Softwares Hinweise nutzt. Und damit hatte er Erfolg.
Nicht nur auf Youtube und Social Media, mittlerweile auch in ganzen Büchern, die auf Kickstarter und im Handel ihre Abnehmer finden, gibt es ganze Romane, die sich allein der Entschlüsselung der mysteriösen, verschlossenen und doch mit Stories bis an den Rand gefüllten Welt von Dark Souls widmen.
Für Spieler, die die Hintergründe und Charaktere von Lordran kennen, oder kennengelernt haben, ergibt sich so durch Hinweise innerhalb und außerhalb des Spieles, in Gegenstandserklärungen und Storytelling durch Leveldesign genauso wie durch Interviews, Fanvideos und Let's Plays aufmerksamer Beobachter ein Gesamtwerk, ein in sich schlüssiges Bild einer in sich schlüssigen Welt, die trotz ihrer Wahnwitzigkeit irgendwie Sinn ergibt.
Um wieder den Bogen zum Anfang des Beitrages zu finden:
Natürlich spielt auch die Schwierigkeit eine Rolle. Ebenso wie Gameplay, erinnerungswürdige Bossfights, Musik und die bedrückende Stimmung. Aber der Hauptgrund, aus meiner Sicht, weshalb nach wie vor kein Spiel mit ähnlichem Aufbau die konsistente Größe eines Dark Souls erreicht. ist die Liebe, mit der die Designer von From Software eine kontinuierlich schlüssige Welt erschaffen haben.
Eine absurde, undurchschaubare Geschichte, die dennoch in sich stimmig und sinnig ist, und die allem Jank, Frust und technischen Mängeln zum Trotz niemals ganz den Hinterkopf verlässt - auch Jahre, nachdem man zum ersten Mal Dark Souls beendet hat.
Wir sehen uns am nächsten Rastfeuer.
Für diesen Beitrag:
Dark Souls – Design Works
Interview ゲームの食卓
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